Archiv der Kategorie: Psychologische Praxis

Die Psychosomatik kann keine Diagnosen stellen

1. Fehlendes Unterscheidungskriterium

Die Psychosomatik besitzt kein präzises Unterscheidungskriterium, wodurch sie autonom die von ihr so-genannten „körperlichen” von den von ihr so-genannten „psychogenen” Symptomen unterscheiden könnte. Jede Grenzziehung ist wie so oft in der Psychologie wieder einmal willkürlich. Es liegt aufgrund dieser Tatsache offen, daß die Psychosomatik gar nichts anderes sein *kann* als eine Entsorgungseinrichtung (man kann auch sagen: Mülltonne) für alles, was die Medizin nicht behandeln will.

Dieser Befund ist gleichwertig mit der Feststellung, daß die Psychosomatik und mithin die Psychologie keine objektiven Tests für die von ihr behaupteten Krankheiten hat.

2. Cherry picking und Empirischer Gehalt von Psychosomatik-Diagnosen

Die psychosomatische Diagnostik ähnelt einem Hexentest, weil sie eine Ergebnisoffenheit vortäuscht, in Wirklichkeit aber meist nur einen Ausgang kennt. Im Prinzip handelt es sich um einen Zirkelschluss durch Selektion. Bevor wir verstehen können, warum das so ist, müssen wir zunächst den Begriff des empirischen Gehaltes kennenlernen. Der empirische Gehalt ist von Popper bestimmt als die Menge der Falsifizierungsmöglichkeiten einer Theorie. Je mehr eine Theorie verbietet, desto höher ist ihr empirischer Gehalt und umgekehrt.
Westmeyer stellt nun die Strukturgleichheit von Erklärung und Prognose einerseits, für welche die Definition von Popper gilt, und der Diagnose andererseits, fest. Nun ist, wie gesagt, psychosomatische Diagnostik nicht ergebnisoffen, sondern kennt meist nur einen einzigen Ausgang. Das liegt daran, daß eine Vorselektion von Falsifikationsmöglichkeiten stattfindet. Das Patientenkollektiv, auf welches psychosomatische Diagnostik überhaupt angewandt wird, ist durch das Prädikat gekennzeichnet, daß trotz „viel” medizinischer Diagnostik kein Befund vorliegt. Das bedeutet, daß der logisch fehlerhafte psychologische Diagnoseapparat nur auf die Menge derjenigen Antezedenzbedingungen angewendet wird, durch welche sie wahrscheinlich bestätigt, nicht aber auf die Menge derer, durch welche sie möglicherweise falsifiziert wird: Der empirische Gehalt psychosomatischer Diagnosen ist also gleich null.

Konklusion:

Der Informationsgehalt einer psychosomatischen Diagnose ist nichts als eine Abbildung der medizinischen Diagnostik und aller Fehler, die jener möglicherweise unterlaufen sind.

Quellen:

Popper, Karl R.: Logik der Forschung, § 36 „Empirischer Gehalt”, Implikationsbeziehung, Falsifizierungsgrad
Westmeyer, Hans: Logik der Diagnostik – Grundlagen einer normativen Diagnostik

Die Verdrehung des Placebo-Effekts

▫ Der Placebo-Effekt war ursprünglich eingeführt worden als Bezeichnung
infolge von positiven Reaktionen auf a) Scheinmedikamente ohne Inhalt b)
skurille Heilmethoden ohne plausibles Wirkprinzip innerhalb medizinischer
Studien. Dabei sollten mit dem Placebo-Effekt gerade jene
Erklärungsalternativen bezeichnet werden, welche ein „mind over
matter”-Prinzip ausschlossen – denn ohne dessen Ausschluss hätte man die
Wirksamkeit der erwähnten skurrilen Heilmethoden ja auch gleich zugeben
können.

Als Beispiele für Erklärungsalternativen wären nämlich auch weitaus
alltäglichere Annahmen zu nennen, die mit weniger Annahmen auskommen – aus
theoretischer Sicht also dem Ökonomieprinzip von Occam folgen. Denn sie
müssen von weniger weitreichenden und umgreifenden Annahmen ausgehen, als
jene, die nötig wären, wollte man eine tatsächliche körperliche Veränderung
durch geistige Veränderung im Sinne des „mind over matter” Prinzips
behaupten.

Zum Beispiel der Interviewer-Effekt. Oder eine Verschiebung der
Aufmerksamkeit: Wer einen Tinnitus hat, der kann durch Ablenkung zwar nicht
erreichen, diesen loszuwerden, aber zumindest, ihn nicht beziehungsweise
bedeutend weniger wahrzunehmen. Und fühlt man sich bei Beschwerden nicht
bedeutend besser, wenn man damit endlich beim Arzt ist, als wenn man durch
Warterei gequält wird?

Es geht mir an der Stelle nicht darum, den Placebo-Effekt zu erklären,
sondern aufzuzeigen, daß man, um ihn zu erklären, nicht gleich mit Kanonen
auf Spatzen schießen muss, sondern alltägliche Alternativerklärungen
durchaus in der Lage sind, die positiven Reaktionen zu erklären. Genannt
seien hier bloss der Barnum-Effekt und

https://de.wikipedia.org/wiki/Barnum-Effekt
https://en.wikipedia.org/wiki/Response_bias

▫ Im Laufe der Geschichte aber wandelte sich der Sprachgebrauch. Zuerst
vollzog sich die Bedeutungswandlung dahingehend, daß der „Placebo-Effekt”
nun ein Bezeichner für OneMythExplainThemAll wurde: Die mind-over-matter
Interpretation wurde tatsächlich gebräuchlich. Statt der Aussage, daß der
Test-Patient lediglich ein Eindruck einer Besserung hat – die meistens so
gravierend gar nicht ist – wurde von einer psychologisierten Medizin nun
die Aussage vertreten, daß sich nicht die Wahrnehmung des Patienten in
Bezug auf das Leiden, sondern das Leiden selbst ändert. Nun, da man die
weitreichenden und umgreifenden Annahmen des „mind over matter”-Prinzips
zugegeben hat, könnte man natürlich auch die Wirksamkeit der skurillen
Heilmethoden zugeben. Diese Schlußfolgerung aber zieht man nicht. Der
Placebo-Effekt wird zu einem neuen Abgrenzungskriterium zu
Aussenseitertheorien. Die thatsächliche Veränderung des Leiden selbst darf
alleine mit der offiziellen „Theorie” von körperlichen Veränderungen durch
geistige Veränderung, nämlich der ›Psychosomatik‹ erklärt werden. In diesem
Fall gilt die Annahme dann irrigerweise als „wissenschaftlich”, was
ausreichendes Zeichen der totalen Verblödung der Medizin durch
Psychogeschwafel ist.

▫ Aber die Bedeutungswandlung wurde noch radikaler. Der Placebo-Effekt soll
heutezutage nicht nur im Sinn eines ›Abgrenzungskriterium‹ fungieren, um
die Wirksamkeit von Aussenseitertheorien zu entkräften. Die Bezeichnung
wird von der Psychologie zum Kampfbegriff, zum populistischen Beispiel für
die angebliche Wirkmächtigkeit des Seelischen über die Materie schlechthin erhoben. Wir
stellen also die Verdrehung der Bedeutung des sprachlichen Zeichens um 180°
im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Bedeutung durch die Psychosomatik
fest.

▫ Das Publikum verblüffen: „Isn’t our brain mavellous? The brain amazes!”

Immer wieder bedienen sich nun Psychologen und insbesondere doctor-writer mit ihren verkürzenden, rein auf Publikumswirksamkeit abzielende Darstellung medizinischer Thematiken des durch sie mystifizierten Placebo-Effektes um Bauernfängerei zu betreiben.

 

Psychosomatiker am Zentrum für Seltene Erkrankungen

THESE:

Psychosomatik-Apologeten in einem ZUK/ZSK sind eine contradictio in adjecto.

Aus unserer Sicht ist nicht zu rechtfertigen, daß Psychologen/Psychosomatiker an ZUKs beteiligt werden. Wir wiederholen unsere Aussage aus dem Beitrag Psychologen sind Psychologen (Das formal identische Urteil)

Es ist nicht vorstellbar, daß ein ZUK für einen Psychologen/Psychiater etwas anderes ist, als ein „Sammelbecken für verdrängte psychische Erkrankungen.”

Und aus dem Beitrag Psychosomatik als Strategie

Funktionelle Störung: „Krankheit, die keine ist”, Teil 1

Einleitung

Die Medizin behauptet die Existenz einer Patientengruppe von „eingebildeten Kranken.” Bei diesen handele es sich um Patienten, bei denen die Medizin bereits „alle” Untersuchungen ohne Ergebnis durchgeführt habe, so dass folglich „keine andere Erklärung” übrig bliebe, als dass die Beschwerden „psychogen” sein müssten. Derart sieht das logische Schliessen in diesen Fällen aus.Getragen wird dieser logische Fehlschluss durch ein psychologisches Konstrukt, dessen typischen Merkmale wir an dieser Stelle beschreiben wollen.

Wir nehmen dafür u.a. Bezug auf

  1. Leitlinie
    Umgang mit Patienten mit nicht
    spezifischen, funktionellen und
    somatoformen Körperbeschwerden
    (link)

1 Typische Charakterisierung von Patienten mit »Nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Koerperbeschwerden«

1. „Patienten, die fortgesetzt über allerlei körperliche Beschwerden klagen, ohne dass dem eine erkennbare Erkrankung zugrunde liegt

2. „klagt fortgesetzt über körperlichen* Beschwerden, obwohl” die Routinediagnostik „ohne Befund” verläuft.

3. „wiederholte Darbietung körperlicher  Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse.”

4. „Mißverhältnis zwischen Klagen und Befunden”

5. Patients complaining of pain and/or fatigue in the absence of known physical diseases

* Mit dem Attribut ‚körperlich’ deutet der Mediziner – es handelt sich dabei um Relationsbegriffe

wie ‚rechts’ und ‚links’ – bereits an, dass es sich in Wahrheit um das Gegenteil von ›organischen‹ Beschwerden, nämlich um ›psychosomatische‹ oder ›immaterielle‹ Beschwerden handelt. Die Attribute werden nirgendwo eingeführt, der Sprachgebrauch setzt das Verständnis unkritisch voraus.

2. Körperbeschwerden als primäre (psychiatrische) Symptomatik: Woran erkennt man die ‚Funktionale Störung’?

Ziel des Konstruktes der „Funktionalen-Störung” ist nicht die psychosomatische Weltausdeutung schlechthin, wenngleich es die Bemühungen der entsprechenden Eiferer gerne zu seinem Fundament nimmt. Sie ist eine Teilmenge der „biopsychosozialen” Kampfbegriff-Theorie (welcher  ihrerseits das Ziel der aggressiven weltauslegerischen Expansion allerdings eignet.)

Mit Diagnosen wie „F45.0 Somatisierungsstörung” soll in der Hauptsache das Phänomen der „ungeklärten Symptomatik” aus der Medizin zu einer eigenständigen Krankheit der Psychologie transformiert werden. Es braucht also nicht einmal eine eigene psychiatrische Grunderkrankung wie eine Depression begründet zu werden, als deren Folge etwa die „psychosomatischen” Symptome erst auftreten würden.

Die Leitlinie spricht deshalb von

»Körperbeschwerden als primäre Symptomatik.«

Noch offensichtlicher könnten die Anhänger kaum sagen, daß es ihnen um die Erledigung des Problems schwer zu diagnostizierender Symptomatiken geht.

Es ist verständlich, dass sich aus diesem Fehlen eigentlicher psychiatrischer Symptome die nicht zu unterschätzende Schwierigkeit ergibt, dieses Konstrukt noch sinnvoll zu bezeichnen. Das Konstrukt greifen und benennen zu wollen ist wie einen Pudding an die Wand schlagen zu wollen. Dadurch wird Kritik behindert. Der Stereotyp vom „Eingebildeten Kranken” tritt in immer neuen Konstrukten unter immer neuen Namen auf. Entzieht sich. Die psychiatrischen Konstrukte unter denen der Stereotyp auftritt sind stets zeitlich begrenzt („Modebegriffe”) und werden per Mehrheitsbeschluss („Binnenkonsens”) als sogenannte Syndrome ratifiziert. Das einzig Bleibende an ihm scheint die Paradoxie: „Krankheit, die keine ist”, oder wie Erich Kästner sagte: „Migräne sind Kopfschmerzen, wenn man keine hat.” Wir werden weiter unten bei den „atypischen Depressionen” noch zwei weitere Paradoxien kennenlernen.

Es ist verständlich, dass sich aus diesem Fehlen eigentlicher psychiatrischer Symptome hinzukommt, dass psychiatrische Terminologie der Euphemismustretmühle unterliegt, weil der diskriminierende Gehalt und die damit verbundene geringe Akzeptanz der Diagnosen bei den

Patienten aus Sicht der jeweiligen Erfinder ein bloßes Mißverständnis darstellt, welchem sie durch das immer neue Einführen immer neuer Terminologien vergeblich Abhilfe zu schaffen suchen.

Das Konstrukt greifen und benennen zu wollen ist wie einen Pudding an die Wand schlagen zu wollen. Der Stereotyp vom „Eingebildeten Kranken” tritt in immer neuen Konstrukten unter immer neuen Namen auf. Entzieht sich. Die psychiatrischen Konstrukte unter denen der Stereotyp auftritt sind stets zeitlich begrenzt („Modebegriffe”) und werden per Mehrheitsbeschluss („Binnenkonsens”) als sogenannte Syndrome ratifiziert. Dadurch wird Kritik deutlich behindert. Das einzig Bleibende an ihm scheint die Paradoxie: „Krankheit, die keine ist”, oder wie Erich Kästner sagte: „Migräne sind Kopfschmerzen, wenn man keine hat.” Wir werden bei den „atypischen Depressionen” noch zwei weitere Paradoxien kennenlernen.

Die Schwierigkeit besteht also in der Bestandsaufnahme von für den Stereotyp zum jetzigen Zeitpunkt spezifischen Ausprägungen.

2.1 Welche Terminologie benutzt der Stereotyp der sogenannten „Funktionellen Störung” für sich selbst?

Die Leitlinie verwendet daür durchgängig die festgeprägte Formulierung

„Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Koerperbeschwerden”

2.2 Welche DSM/ICD-10 Diagnosen sind kontemporär relevant?

Die Hypochondrie muss hier eigentlich an erster Stelle genannt werden, denn sie hat sich am längsten gehalten und ist ikonisch für den Stereotyp – ohne dass dieser aber auf jene Diagnose reduziert sei. Die „Diagnose”

Hypochondrie beschreibt die “falsche Überzeugung, krank zu sein.”

Die Tabelle 3.1 der Leitlinie listet folgende Diagnosen aus „Psychosomatischer Medizin”,  „Psychiatrie” sowie der „Klinischen und Medizinischen Psychologie” als für diesen Kontext relevant auf.

  1. Somatisierungsstörung
  2. Undifferenzierte Somatisierungsstörung
  3. Somatoforme autonome Funktionsstörung
  4. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
  5. Chronische Schmerzstörung mit somatischenund psychischen Faktoren
  6. Hypochondrische Störung
  7. Dissoziative Störungen der Bewegung und Empfindung (Konversion)
  8. (Nicht wahnhafte) Körperdysmorphe Störung
  9. Neurasthenie
  10. „larvierte“ oder „somatisierte“ Depression

Auch wenn die Leitlinie nur die larvierte Depression, nicht aber die F41.1 (Generalisierte) Angststörung auflistet, gehört sie unserer Meinung nach dennoch zu den relevanten Diagnosen. (Siehe unten)

Die Tabelle 5.1: Aktuelle Klassifikation somatoformer Störungen nach ICD-10 bietet noch eine genauere Auflistung mit Nennung der Diagnoseschlüssel.

14. Nichts hält ahnungslose Ärzte in der Praxis davon ab, unbekannte Symptome schon einmal Psychosen („Wahngebilde”) zu diagnostizieren (diagnostizieren zu lassen) aber das ist nicht unbedingt spezifisch für den Stereotyp der „Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Koerperbeschwerden.”

Hier geht es zu Funktionelle Störung: „Krankheit, die keine ist”, Teil 2

Funktionelle Störung: „Krankheit, die keine ist”, Teil 3

4 Der Zirkelschluss der Diagnosekriterien von F45.0 Somatisierungsstörung

Der Diagnose F45.0 unterliegt unverkennbar ein Zirkelschluss. Es kommt in die Prämissen der Argumentation schon das hinein, was dann als gefolgerte These wieder herauszuholen ist.

Beweisen möchte man gerne die Konklusion:

„Diese nur scheinbar körperliche Symptomatik ist in Wahrheit psychosomatisch”.

Die Diagnosekriterien enthalten als Prämissen aber bereits die Aussage

„ungeklärte medizinische Krankheit alleine ist bereits ein psychologisches Symptom”…

Ähnlich wie ein Taschenspieler etwa Uhren oder Kaninchen aus einem Zylinderhut hervorzaubert, nachdem er sie vorher heimlich hineinpraktiziert hat.

4.1 F32.8 Larvierte Depression und andere „atypische” Störungen sowie F41.1 (Generalisierte) Angststörung

Ebenso logisch fehlerhaft wie die Definitionen der Somatisierungsstörung sind die Definitionen der Konstrukte „larvierte Depression” und „Generalisierte Angststörung”.

Sie verletzen eine ganz wesentliche Forderung an wissenschaftliche Hypothesen:

Ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können.

― Karl Popper: Logik der Forschung, s. 15

Grundlage für Wissenschaftlichkeit sind Falsifizierungskriterien¹. Diese fehlen hier nicht etwa aus „Pfusch” o.ä., sondern per Definition. Aus Absicht. Die Aussage ist, daß gerade das Fehlen von „typischen” Kriterien auf irgendeine seltsame Art „typisch” sei. Natürlich: Untypische Verläufe gibt es immer. Aber es braucht Chuzpe um diese Charakteristik zum definiens zu erheben.

– Kurz und knapp: Eine Diagnose ohne überprüfbare Kriterien, die mit keiner möglichen Tatsache mehr kollidieren kann, kann schlichtweg nicht wissenschaftlich sein.

Typisch für die Generalisierte Angststörung ist ebenso wie für die „larvierte Depression” das fehlende Falsifikationskriterium. Weil nicht anggebbar ist, „wovor?” die Person angeblich „Angst” hat, „worauf?” sich die Angst angeblich bezieht – und sich darum auch nicht ausschliessen lässt – hat das Konstrukt die paradoxe Formulierung der „Angst vor der Angst” etabliert.

In der Formulierung des „typischerweise Untypischen” haben wir eine ähnlich paradoxe Reduplikation wie in der „Angst vor der Angst“

___________________________________________________________________________ ¹https://web.archive.org/web/20130701095348/http://www.stephenjaygould.org/ctrl/popper_falsification.html#see

Funktionelle Störung: „Krankheit, die keine ist”, Teil 4

Der Begriff „funktionell”: Ein verschleierter Hylomorphismus

(Statement 6 der Leitlinie)

Der Begriff deutet an, dass überwiegend die Funktion, nicht die Struktur, eines Organ(system)s (z.B. des Herzens bei Herzbeschwerden, des Darms bei Verdauungsstörungen) bzw. der zentralnervösen Verarbeitung von Beschwerdewahrnehmungen gestört scheint.

Geist und Materie – verschleiert

Aber die Differenzierung ›funktionell‹ und ›strukturell‹ ist schließlich nichts weiter als eine dünne und untaugliche Bemäntelung für einen Uralt-Hylomorphismus. Die Wörter „funktionell” und „strukturell” sind absichtlicher Namensirrtum.

Wovon eigentlich verschleiert die Rede ist, das sind Form (Seele) und Materie.

Und der Materie-Begriff nun, welchen der besagte Hylomorphismus des „Funktionelle Störung”-Topos offenbart, ist nicht mehr als gleichgültiges Substrat für eine Form.

Gemeint ist nicht Funktion, sondern der Geist in der Maschine

Eine Funktion bzw. einen Funktionalismus gibt es im Hylomorphismus nicht – das nämlich würde ihn schlicht erübrigen. Ein Funktionalismus wiederum kennt keine von der Funktion unabhängige Struktur. Eine Unabhängigkeit beider Sphären gibt es nur beim Geist-in-der-Maschine.

Eine äussert problematische Behauptung

Das Narrativ arbeitet mit dem Begriffsgegensatz ›funktionell‹ und ›strukturell‹. Der Begriff ›funktionell‹ behauptet schlechterdings, daß ein Organ in seiner ›Funktion‹ beeinträchtigt ist, ohne daß Veränderungen der ›Struktur‹ erkennbar sind.

Der Gedanke an sich ist erkennbar absurd. Wer würde schon als Ursache eines Defektes eines Ganzen die Intaktheit der Teile in Betracht ziehen? Eine angebliche Funktionsstörung bei Intaktheit der Teile ist eine handfeste Anti-Alltagserfahrung, eine Anti-Erfahrungstatsache.

Er wird lediglich gestützt von der spezifisch medizinischen Erfahrung der Beschränktheit ihrer eigenen Diagnosemittel, den Körper zu befragen. Techniken wie das Röntgenbild, CT, MRT, … sind statisch und stellen eine hylomorphistische Form ohne ihre Funktion dar, wohingegen andere Untersuchungsmethoden, häufig dann unter Ausschluss der Form, die Funktion des Körpers darstellen.

Erklärungsversuch

Behauptet und gestützt werden soll die Behauptung des Funktionsdefektes bei und gerade durch intakte Struktur des Organs. Das ist nur möglich, wenn sich eine Unabhängigkeit beider Systeme herleiten lässt, die den hiatus versöhnt, welchen die Behauptung aufreisst.

Wie ist eine solche Unabhängigkeit überhaupt möglich? Um diese Frage zu beantworten muss man hier schon von dem klassischen Kategorienfehler (Gilbert Ryle) sprechen. Ein Beispiel; offenbart den Denkfehler, den die Anhänger des „Funktionelle Störung”-Topos machen. Angenommen jemand kauft sich ein „Paar Handschuhe.” Die „Struktur” des Organs betrachten die Anhänger der Theorie in unserem Beispiel als einen linken und einen rechten Handschuh. Die „Funktion” aber würden sie in dem Beispiel als ein Paar von Handschuhen betrachten, das – und hier liegt ihr Denkfehler: als Summe verschieden von seinen Teilen (dem linken und dem rechten Handschuh ist). Sodass sie in der Summe 1x einen linken Handschuh, 1x einen rechten Handschuh und darüberhinaus 1x ein Paar Handschuhe hätten.

Das Ganze wird sich vorgestellt als ein weiterer Bestandteil neben den Teilen, die es konstituieren. Oder anders gesagt: Es findet eine Verdoppelung statt.

In der Verdoppelung ist schließlich die für den Spiritualismus notwendige Unabhängigkeit gefunden.

Damit ist ein weiteres Mal die begriffliche Armut und fehlende Begründungskraft des Narrativs dargelegt. Und um unsere Frage von oben zu beantworten: Eine solche Unabhängigkeit, wie sie nötig wäre, um die Behauptung aufrecht zu erhalten, ist schlicht nicht möglich.

Der Hylomorphismus, den wir im Kernbegriff des „Funktionelle Störung”-Topos  offengelegt haben, kennt übrigens gar keinen Funktionsbegriff. Bereits hier beginnt die Irreführung der Anhänger der »Funktionellen Störung«. Die Aristotelische Lehre lässt die Relation gerade so als logische Kategorie in seinen Kategorien zu und kennt funktionelle Veränderung nur als akzidentielle Art der Veränderung (μεταβολή) –  und zwar die compositio sive figura sive ordo.

Funktionelle Störung: „Krankheit, die keine ist”, Teil 2

Induktionsproblem: Charakterisierung der Beschwerden als „Medizinisch nicht erklärbar”

Wir möchten uns an dieser Stelle mit zwei weiteren Lügen befassen, mit denen die universitäre Psycholobby gerne Menschen mit den angeblichen „Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Koerperbeschwerden” charakterisieren möchte.
Zum einen liegt ein logischer Fehlschluss vor, zum anderen eine klassische Lüge. Der logische Fehlschluss besteht darin, eine Theorie – etwa die der „funktionellen Störung” – durch noch so viele singuläre Einzelbeobachtungen verifizieren zu wollen.

Betrachten wir also das charakteristischste Stück an Terminologie und Formulierungen des Konzepts ›Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Koerperbeschwerden.‹ Es handelt sich um die Charakterisierung der Krankheiten der oben bereits charakterisierten Patientengruppe:

1. „medically unexplained”

2. „Befindlichkeitsstörungen, die sich medizinisch nicht begründen lassen”

3. „Somatisch  nicht  hinreichend  erklärte Körperbeschwerden”

4. „körperliche Symptome, für die es keine befriedigende organische Erklärung gibt”

Es gibt bloss ein gravierendes Problem mit ihnen: in ihnen ist das Induktionsproblem klar und deutlich erkennbar. Eine klassische Definition vom Induktionsproblem gab bereits Sextus Empiricus. Karl Popper definiert den Induktionsschluss in seiner Logik der Forschung folgendermaßen

Als induktiven Schluß oder Induktionsschluß pflegt man einen Schluß von besonderen Sätzen, die z. B. Beobachtungen, Experimente usw. beschreiben, auf allgemeine Sätze, auf Hypothesen oder Theorien zu bezeichnen

Das oben genannte Induktionsproblem bezeichnet

die Untauglichkeit des induktiven Schliessens für die Wissenschaft. Die Verifikation einer Theorie wie „Alle Schwäne sind weiß” kann nicht durch singuläre Beobachtungen erfolgen.

Die genannten Beispielsätze verallgemeinern nun von der blossen medizinischen „Ungeklärtheit” einer Erkrankung zu einer Gattung der angeblichen „medizinischen Unerklärbarkeit” schlechthin.

Formulierungen dieser Art stellt die modale Behauptung auf, daß eine medizinische Erklärung der beklagten Beschwerden auch mittelbar nicht gegeben werden könne.


 

Wir erlauben uns, den Gehalt der Charakterisierung der Beschwerden folgendermaßen als Theorem zusammenzufassen

„Es lässt sich kategorisch kein organisches Korrelat zu den geäusserten Beschwerden finden.”

Das ist der Versuch eines Negativ-Beweises durch Induktion. Aber es gilt: „You can’t prove a negative.” Die Hypothese des Nicht-Vorhandensein von etwas ist bloss die logische Umformung der positiven Hypothese vom ausschließlich Vorhandensein von etwas wo die Verifikation angeblich durch die Feststellung der Abwesenheit von etwas erfolgt. Etwa die These: „Es gibt den Weihnachtsmann nicht.” Keine Serie von singulären Sätzen („ich sehe keinen Weihnachtsmann”) wird jemals zur Verifikation dieser Hypothese ausreichen. Denn:

Wir müßten gleichfalls die ganze Welt absuchen, um dann sagen zu können, daß es etwas nicht gibt.

― Karl Popper: Logik der Forschung, s. 40

Der Anhänger der Theorie von der „Funktionellen Störung” aber möchte anhand von Momentaufnahmen induzieren, daß sich der Patient alles nur einbildet.

Psychologen sind Psychologen (Das formal identische Urteil)

Psychologen sind nun einmal Psychologen. Wenn sie eine psychologische Deutung entwerfen, dann ist das keine Überraschung, sondern genau das, was man von ihnen zu erwarten hat. Wer zu einem Astrologen geht, braucht nicht überrascht zu sein, wenn er ein Horoskop bekommt.

Es ist nicht vorstellbar, daß ein ZUK für einen Psychologen/Psychiater etwas anderes ist, als ein „Sammelbecken für verdrängte psychische Erkrankungen.”

Ein Urteil wie „Psychologen sind Psychologen” wird von Wilhelm Wundt in seiner Logik das formal identische Urteil genannt und dient der Bekräftigung verschiedener Eigenschaften der identisch gesetzten Begriffe. In diesem Fall ist darauf hinzuweisen, daß Psychologen natürlich einen Fall aus psychologischer und nicht etwa medizinischer Sicht deuten werden, weil genau das ihre Aufgabe als Psychologe ist. Das darf über psychologische Tatsachenfeststellung nie vergessen werden.

Der Psychologe/Psychiater kann nicht nur, sondern muss die beklagten Beschwerden psychologisch deuten, sofern Beschwerden ohne entsprechenden „organischen Befund” vorliegen. Er hat gar keine andere Wahl, das geht – zirkuläre Logik hin oder her – aus der Definition der Diagnosekriterien unausweichlich hervor.

Worauf wartet ihr?

Daß die Tauben mit sich reden lassen
Und daß die Unersättlichen
Euch etwas abgeben!
Die Wölfe werden euch nähren, statt euch zu verschlingen!
Aus Freundlichkeit Werden die Tiger euch einladen
Ihnen die Zähne zu ziehen!

Darauf wartet ihr!

(Brecht)

Ausserdem halten wir folgende Feststellung fest: Daß ein Psychologe eine bestimmte Aussage ableiten kann (also ein Ausdruck beziehungsweise ein Element der Sprache der Psychologie ist) beweist nicht mehr, als daß ein Psychologe eine bestimmte Aussage ableiten kann.

Funktionelle Störung: „Krankheit, die keine ist”

Einleitung

Die Medizin behauptet die Existenz einer Patientengruppe von „eingebildeten Kranken.” Bei diesen handele es sich um Patienten, bei denen die Medizin bereits „alle” Untersuchungen ohne Ergebnis durchgeführt habe, so dass folglich „keine andere Erklärung” übrig bliebe, als dass die Beschwerden „psychogen” sein müssten. Derart sieht das logische Schliessen in diesen Fällen aus.Getragen wird dieser logische Schluss durch ein psychologisches Konstrukt, dessen typischen Merkmale wir an dieser Stelle beschreiben wollen.

Wir nehmen dafür u.a. Bezug auf

  1. Leitlinie
    Umgang mit Patienten mit nicht
    spezifischen, funktionellen und
    somatoformen Körperbeschwerden
    (link)

1 Typische Charakterisierung von Patienten mit »Nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Koerperbeschwerden«

1. „Patienten, die fortgesetzt über allerlei körperliche Beschwerden klagen, ohne dass dem eine erkennbare Erkrankung zugrunde liegt

2. „klagt fortgesetzt über körperlichen* Beschwerden, obwohl” die Routinediagnostik „ohne Befund” verläuft.

3. „wiederholte Darbietung körperlicher  Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse.”

4. „Mißverhältnis zwischen Klagen und Befunden”

5. Patients complaining of pain and/or fatigue in the absence of known physical diseases

* Mit dem Attribut ‚körperlich’ deutet der Mediziner – es handelt sich dabei um Relationsbegriffe wie ‚rechts’ und ‚links’ – bereits an, dass es sich in Wahrheit um das Gegenteil von ›organischen‹ Beschwerden, nämlich um ›psychosomatische‹ oder ›immaterielle‹ Beschwerden handelt. Die Attribute werden nirgendwo eingeführt, der Sprachgebrauch setzt das Verständnis unkritisch voraus.

2. Körperbeschwerden als primäre (psychiatrische) Symptomatik: Woran erkennt man die ‚Funktionale Störung’?

Ziel des Konstruktes der „Funktionalen-Störung” ist nicht die psychosomatische Weltausdeutung schlechthin, wenngleich es die Bemühungen der entsprechenden Eiferer gerne zu seinem Fundament nimmt. Sie ist eine Teilmenge der „biopsychosozialen” Kampfbegriff-Theorie (welcher  ihrerseits das Ziel der aggressiven weltauslegerischen Expansion allerdings eignet.)

Mit Diagnosen wie „F45.0 Somatisierungsstörung” soll in der Hauptsache das Phänomen der „ungeklärten Symptomatik” aus der Medizin zu einer eigenständigen Krankheit der Psychologie transformiert werden. Es braucht also nicht einmal eine eigene psychiatrische Grunderkrankung wie eine Depression begründet zu werden, als deren Folge etwa die „psychosomatischen” Symptome erst auftreten würden.

Die Leitlinie spricht deshalb von »Körperbeschwerden als primärer Symptomatik.«

Noch offensichtlicher könnten die Anhänger kaum sagen, daß es ihnen um die Erledigung des Problems schwer zu diagnostizierender Symptomatiken geht.

Es ist verständlich, dass sich aus diesem Fehlen eigentlicher psychiatrischer Symptome die nicht zu unterschätzende Schwierigkeit ergibt, dieses Konstrukt noch sinnvoll zu bezeichnen. Das Konstrukt greifen und benennen zu wollen ist wie einen Pudding an die Wand schlagen zu wollen. Dadurch wird Kritik behindert. Der Stereotyp vom „Eingebildeten Kranken” tritt in immer neuen Konstrukten unter immer neuen Namen auf. Entzieht sich. Die psychiatrischen Konstrukte unter denen der Stereotyp auftritt sind stets zeitlich begrenzt („Modebegriffe”) und werden per Mehrheitsbeschluss („Binnenkonsens”) als sogenannte Syndrome ratifiziert. Das einzig Bleibende an ihm scheint die Paradoxie: „Krankheit, die keine ist”, oder wie Erich Kästner sagte: „Migräne sind Kopfschmerzen, wenn man keine hat.” Wir werden weiter unten bei den „atypischen Depressionen” noch zwei weitere Paradoxien kennenlernen.

Es ist verständlich, dass sich aus diesem Fehlen eigentlicher psychiatrischer Symptome hinzukommt, dass psychiatrische Terminologie der Euphemismustretmühle unterliegt, weil der diskriminierende Gehalt und die damit verbundene geringe Akzeptanz der Diagnosen bei den Patienten aus Sicht der jeweiligen Erfinder ein bloßes Mißverständnis darstellt, welchem sie durch das immer neue Einführen immer neuer Terminologien vergeblich Abhilfe zu schaffen suchen.

Das Konstrukt greifen und benennen zu wollen ist wie einen Pudding an die Wand schlagen zu wollen. Der Stereotyp vom „Eingebildeten Kranken” tritt in immer neuen Konstrukten unter immer neuen Namen auf. Entzieht sich. Die psychiatrischen Konstrukte unter denen der Stereotyp auftritt sind stets zeitlich begrenzt („Modebegriffe”) und werden per Mehrheitsbeschluss („Binnenkonsens”) als sogenannte Syndrome ratifiziert. Dadurch wird Kritik deutlich behindert. Das einzig Bleibende an ihm scheint die Paradoxie: „Krankheit, die keine ist”, oder wie Erich Kästner sagte: „Migräne sind Kopfschmerzen, wenn man keine hat.” Wir werden bei den „atypischen Depressionen” noch zwei weitere Paradoxien kennenlernen.

Die Schwierigkeit besteht also in der Bestandsaufnahme von für den Stereotyp zum jetzigen Zeitpunkt spezifischen Ausprägungen.

2.1 Welche Terminologie benutzt der Stereotyp der sogenannten „Funktionellen Störung” für sich selbst?

Die Leitlinie verwendet durchgängig die festgeprägte Formulierung „Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Koerperbeschwerden”

2.2 Welche DSM/ICD-10 Diagnosen sind komtemporär relevant?

Die Hypochondrie muss hier eigentlich an erster Stelle genannt werden, denn sie hat sich am längsten gehalten und ist ikonisch für den Stereotyp – ohne dass dieser aber auf jene Diagnose reduziert sei. Die „Diagnose” Hypochondrie beschreibt die “falsche Überzeugung, krank zu sein.”

Die Tabelle 3.1 der Leitlinie listet folgende Diagnosen aus „Psychosomatischer Medizin”,  „Psychiatrie” sowie der „Klinischen und Medizinischen Psychologie” als für diesen Kontext relevant auf.

  1. Somatisierungsstörung
  2. Undifferenzierte Somatisierungsstörung
  3. Somatoforme autonome Funktionsstörung
  4. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
  5. Chronische Schmerzstörung mit somatischenund psychischen Faktoren
  6. Hypochondrische Störung
  7. Dissoziative Störungen der Bewegung und Empfindung (Konversion)
  8. (Nicht wahnhafte) Körperdysmorphe Störung
  9. Neurasthenie
  10. „larvierte“ oder „somatisierte“ Depression

Auch wenn die Leitlinie nur die larvierte Depression, nicht aber die F41.1 (Generalisierte) Angststörung auflistet, gehört sie unserer Meinung nach dennoch zu den relevanten Diagnosen. (Siehe unten)

Die Tabelle 5.1: Aktuelle Klassifikation somatoformer Störungen nach ICD-10 bietet noch eine genauere Auflistung mit Nennung der Diagnoseschlüssel.

14. Nichts hält ahnungslose Ärzte in der Praxis davon ab, unbekannte Symptome schon einmal Psychosen („Wahngebilde”) zu diagnostizieren (diagnostizieren zu lassen) aber das ist nicht unbedingt spezifisch für den Stereotyp der „Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Koerperbeschwerden.”

3. Charakterisierung der Beschwerden: „Medizinisch nicht erklärbar”

1. „Befindlichkeitsstörungen, die sich medizinisch nicht begründen lassen”

2. „Anomalie ohne organisches Korellat” sowie „körperliche Symptome, für die es keine befriedigende organische Erklärung gibt”

3. „Somatisch  nicht  hinreichend  erklärte Körperbeschwerden”

4. „medically unexplained”

Formulierungen dieser Art sind das charakteristischste Stück Terminologie des Konzepts ›Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Koerperbeschwerden‹. Es gibt bloss ein gravierendes Problem mit ihnen: in ihnen ist das Induktionsproblem klar und deutlich erkennbar. Karl Popper definiert den Induktionsschluss folgendermaßen

Als induktiven Schluß oder Induktionsschluß pflegt man einen Schluß von besonderen Sätzen, die z. B. Beobachtungen, Experimente usw. beschreiben, auf allgemeine Sätze, auf Hypothesen oder Theorien zu bezeichnen

Das oben genannte Induktionsproblem bezeichnet

die Untauglichkeit des induktiven Schliessens für die Wissenschaft. Die Verifikation einer Theorie wie „Alle Schwäne sind weiß” kann nicht durch singuläre Beobachtungen erfolgen.

Die genannten Beispielsätze verallgemeinern nun von der blossen medizinischen „Ungeklärtheit” einer Erkrankung zu einer Gattung der angeblichen „medizinischen Unerklärbarkeit” schlechthin.

Formulierungen dieser Art stellt die modale Behauptung auf, daß eine medizinische Erklärung der beklagten Beschwerden auch mittelbar nicht gegeben werden könne.


 

Wir erlauben uns, den Gehalt der Charakterisierung der Beschwerden folgendermaßen als Hypothese zusammenzufassen

„Es lässt sich kategorisch kein organisches Korrelat zu den geäusserten Beschwerden finden.”

Das ist der Versuch eines Negativ-Beweises durch Induktion. Aber es gilt: „You can’t prove a negative.” Die Hypothese des Nicht-Vorhandensein von etwas ist bloss die logische Umformung der positiven Hypothese vom ausschließlich Vorhandensein von etwas wo die Verifikation angeblich durch die Feststellung der Abwesenheit von etwas erfolgt. Etwa die These: „Es gibt den Weihnachtsmann nicht.” Keine Serie von singulären Sätzen („ich sehe keinen Weihnachtsmann”) wird jemals zur Verifikation dieser Hypothese ausreichen. Denn:

Wir müßten gleichfalls die ganze Welt absuchen, um dann sagen zu können, daß es etwas nicht gibt.

― Karl Popper: Logik der Forschung, s. 40

Der Anhänger der Theorie von der „Funktionellen Störung” aber möchte aus einer negativen Momentaufnahme induzieren, daß sich der Patient alles nur einbildet.

3.1 Ad-hoc Hypothese

Die Leitlinie sagt nicht, warum es überhaupt wahrscheinlicher sein sollte, daß ein solches Gebilde existiert, wie es hier vorgeschlagen wird, als daß schlicht und einfach die Unkenntnis der Medizin oder des einzelnen Mediziner das Ausbleiben einer richtigen Diagnose erklärt. Dies wäre nach Occam’s Razor die einfachste Erklärung. Alleine schon aus dem Grund muss sich die Diagnose den Hinweis gefallen lassen, daß sie voll und ganz den Charakter einer unökonomischen, zusätzlichen ad-hoc Hypothese hat.

4 Der Zirkelschluss der Diagnosekriterien von F45.0 Somatisierungsstörung

Der Diagnose F45.0 unterliegt unverkennbar ein Zirkelschluss. Es kommt in die Prämissen der Argumentation schon das hinein, was dann als gefolgerte These wieder herauszuholen ist.

Beweisen möchte man gerne die Konklusion:

„Diese nur scheinbar körperliche Symptomatik ist in Wahrheit psychosomatisch”.

Die Diagnosekriterien enthalten als Prämissen aber bereits die Aussage

„ungeklärte medizinische Krankheit alleine ist bereits ein psychologisches Symptom”…

Ähnlich wie ein Taschenspieler etwa Uhren oder Kaninchen aus einem Zylinderhut hervorzaubert, nachdem er sie vorher heimlich hineinpraktiziert hat.

4.1 F32.8 Larvierte Depression und andere „atypische” Störungen sowie F41.1 (Generalisierte) Angststörung

Ebenso logisch fehlerhaft wie die Definitionen der Somatisierungsstörung sind die Definitionen der Konstrukte „larvierte Depression” und „Generalisierte Angststörung”.

Sie verletzen eine ganz wesentliche Forderung an wissenschaftliche Hypothesen:

Ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können.

― Karl Popper: Logik der Forschung, s. 15

Grundlage für Wissenschaftlichkeit sind Falsifizierungskriterien¹. Diese fehlen hier nicht etwa aus „Pfusch” o.ä., sondern per Definition. Aus Absicht. Die Aussage ist, daß gerade das Fehlen von „typischen” Kriterien auf irgendeine seltsame Art „typisch” sei. Natürlich: Untypische Verläufe gibt es immer. Aber es braucht Chuzpe um diese Charakteristik zum definiens zu erheben.

– Kurz und knapp: Eine Diagnose ohne überprüfbare Kriterien, die mit keiner möglichen Tatsache mehr kollidieren kann, kann schlichtweg nicht wissenschaftlich sein.

Typisch für die Generalisierte Angststörung ist ebenso wie für die „larvierte Depression” das fehlende Falsifikationskriterium. Weil nicht anggebbar ist, „wovor?” die Person angeblich „Angst” hat, „worauf?” sich die Angst angeblich bezieht – und sich darum auch nicht ausschliessen lässt – hat das Konstrukt die paradoxe Formulierung der „Angst vor der Angst” etabliert.

In der Formulierung des „typischerweise Untypischen” haben wir eine ähnlich paradoxe Reduplikation wie in der “Angst vor der Angst”

___________________________________________________________________________ ¹https://web.archive.org/web/20130701095348/http://www.stephenjaygould.org/ctrl/popper_falsification.html#see

5 Der Begriff „funktionell”: Ein verschleierter Hylomorphismus

(Statement 6 der Leitlinie)

Das Narrativ arbeitet mit dem Begriffsgegensatz ›funktionell‹ und ›strukturell‹. Der Begriff ›funktionell‹ behauptet schlechterdings, daß ein Organ in seiner ›Funktion‹ beeinträchtigt ist, ohne daß Veränderungen der ›Struktur‹ erkennbar sind.

Der Gedanke an sich ist erkennbar absurd.

Aber die Differenzierung ›funktionell‹ und ›strukturell‹ ist schließlich nichts weiter als eine dünne und untaugliche Bemäntelung für einen Uralt-Hylomorphismus. Die Wörter „funktionell” und „strukturell” sind absichtlicher Namensirrtum. Wovon eigentlich die Rede ist, das sind Form (Seele) und Materie. Und der Materie-Begriff nun, welchen der besagte Hylomorphismus des „Funktionelle Störung”-Topos offenbart, ist nicht mehr als gleichgültiges Substrat für eine Form.

Der Begriff deutet an, dass überwiegend die Funktion, nicht die Struktur, eines Organ(system)s (z.B. des Herzens bei Herzbeschwerden, des Darms bei Verdauungsstörungen) bzw. der zentralnervösen Verarbeitung von Beschwerdewahrnehmungen gestört scheint.

Man muss hier schon von dem klassischen Kategorienfehler (Gilbert Ryle) sprechen. Ein Beispiel offenbart den Denkfehler, den die Anhänger des „Funktionelle Störung”-Topos machen. Angenommen jemand kauft sich ein „Paar Handschuhe.” Die „Struktur” des Organs betrachten die Anhänger der Theorie in unserem Beispiel als einen linken und einen rechten Handschuh. Die „Funktion” aber würden sie in dem Beispiel als ein „Paar von Handschuhen“ betrachten, das – und hier liegt ihr Denkfehler – verschieden von dem linken und dem rechten Handschuh ist, welche sie doch bereits haben. Sodass sie in der Summe 1x einen linken Handschuh, 1x einen rechten Handschuh und 1x ein Paar Handschuhe hätten.

Das Ganze wird sich vorgestellt als ein weiterer Bestandteil neben den Teilen, die es konstituieren. Oder anders gesagt: Es findet eine Verdoppelung statt.

Aus diesem Denkfehler leiten sie schließlich die nötige Unabhängigkeit von – in ihrer Sprache – der „Funktion” und der „Struktur” des Organs ab, um bei intakter Struktur den Funktionsdefekt zu behaupten.

Der Hylomorphismus, den wir im Kernbegriff des „Funktionelle Störung”-Topos  offengelegt haben, kennt übrigens gar keinen Funktionsbegriff.

Damit ist ein weiteres Mal die begriffliche Armut und fehlende Begründungskraft des Narrativs dargelegt.

Zentren für seltene Erkrankungen

Der Begriff ›Seltene Krankheit‹

Derzeit wird der Terminus der “seltenen Erkrankung”, insbesondere über die Medien, in den Köpfen der Menschen und in der Medizin etabliert. Spezielle ›Zentren‹ sollen die Zuständigkeit für ebensolche ›seltenen/unerkannte Erkrankungen‹ übernehmen. Bei vielen Patienten, die sich mit ihren Problemen von der Medizin bisher im Stich gelassen fühlten, werden so gezielt Hoffnungen geschürt. Die Gefahr besteht darin, daß sich die Versorgungssituation durch den neuen Begriff weiter verschlechtert statt verbessert. Alles-entscheidend ist, wie die Äquivokation der „Seltenen Erkrankung” interpretiert wird. Ärzte könnten versucht sein, lästige Patienten mit der Frage „Warum Sie schon einmal in einem ZUK?” abzuwimmeln. Und wenn in jenen Zentren der Psychosomatiker die Diagnosen genau so diktiert, wie derzeit in der normalen medizinischen Praxis, dann ist das Misserfolgspotential hoch, die Patienten laufen ins offene Messer.

Die quantitative Definition

Wie definiert man „Seltene Erkrankungen” ?

Das ZUK-Wiesbaden definiert eine „seltene Erkrankung” hauptsächlich quantitativ.

Eine Seltene Erkrankung bedeutet, dass weniger als 1: 2000 Menschen von ihr betroffen ist

Wikipedia definiert ebenfalls alleine quantitativ:

Als seltene Krankheit (auch orphan disease; engl.orphan „Waise“, disease „Krankheit“) bezeichnet man eine Krankheit, die so selten auftritt, dass sie in einer Praxis eines Allgemeinmediziners in der Regel höchstens einmal pro Jahr vorkommt.

Warum eine quantitative Definition nicht ausreichend ist

Die quantitative Definition des Begriffs der „Seltenen Erkrankung” ist nicht ausreichend. „Selten” muss auch im Zusammenhang von „Minderheit”, „Abweichung”, etc. gesehen werden.

Wie unsere Analyse des kontemporären Konzepts der „Funktionellen Störungen” zeigt, ist es mitnichten so, daß eine illegitime Psychiatrisierung Seltener Erkrankungen lediglich einen Einzelfall darstellen würde. Darum stellen wir folgende Behauptung auf:

Das Psychiatrisieren Seltener Erkrankungen ist in der Medizin an der Tagesordnung. Wie am Beispiel der „Funktionellen Störung” ersichtlich ist, bastelt die Psychologie an Konstrukten, die genau jenes auf alltäglicher Basis legitimieren sollen.

Daß die ZUKs ausschließlich mit quantitativen Definitionen arbeiten, gibt Anlass zur Sorge, ob jene sich nun auch für diejenigen „seltenen Erkrankungen” zuständig fühlen, die zu unrecht als „Funktionelle Störung” denunziert werden. Der Begriff müsste explizit nicht bloss seltene oder un-er-kannte, sondern auch möglicherweise un-be-kannte Krankheiten umfassen. (Ohne an sie den Anspruch der leichten Diagnostizierbarkeit zu stellen, versteht sich)

Geleugnete Sehstörungen

Einige Menschen leiden an dauerhaften migräne-artigen Sehstörungen – manchmal „visual snow” oder auch “eye tinnitus” genannt. Es ist ein Musterbeispiel für den Umgang der Medizin mit einer Symptomatik, die ihr unbekannt ist. Vor über zehn Jahren bereits wurde ein Forum gegründet, in dem sichtbar wurde, daß “man” als Patient kein Einzelfall ist sondern daß es im Gegenteil noch viele andere Patienten gibt. Aber zehn Jahre lang ist nichts passiert, wurden die Betroffenen nicht ernst genommen und ihre Symptome psychiatrisiert. Als Halluzinationen einer psychischen Störung hingestellt. Alleine dadurch, daß die Betroffenen die Forschung (d.h. einen großen Teil davon) selbst bezahlten, entstanden Aufnahmen von genau den „Korrelaten”, die von den Patienten in der Praxis zwar immer gefordert worden waren, für die aber die notwendigen (teuren) Untersuchungen nicht durchgeführt wurden.

Das offizielle Forum, in dem derzeit weiter an der Finanzierung von Forschung gearbeitet wird, hat momentan 3,400 Mitglieder. Statistisches Zahlenmaterial wie (5 in 1000) gibt es zwar nicht, aber die Summe der Betroffenen alleine spricht bereits für sich selbst. Selbst jetzt, wo die Studien eindeutig ein Korrelat zeigen, werden die Patienten noch von ihren Augenärzten oder Neurologen weggeschickt. Von der Medizin nicht ernst genommen. Die Biographie von Visual-Snow zeigt, daß Quantität noch lange kein Indikator für medizinisches Interesse, und hinzukommende Korrelate (die bisher noch von niemandem angezweifelt wurden. Im Gegenteil: Dr. Schankin erhielt den Harold G. Wolff Lecture Award der American Headache Society), sondern selbst in Verbindung mit handfesten Korrelaten noch immer kein Indikator für medizinische Akzeptanz ist.

Outsourcen von Patienten?

Es steht insofern zu befürchten, daß sich die Versorgungssituation durch ZSKs eher verschlimmert als verbessert, wenn Ärzte nun anfangen, die Zuständigkeit für Patienten mit schwierig zu diagnostizierenden Symptomatiken nur noch an ZSKs abzuschieben. Dabei sind ZSKs weit davon entfernt, eine tragende Rolle der medizinischen Primärversorgung übernehmen zu können. Es handelt sich um experimentelle Einrichtungen – bestenfalls. Fast alle ZSKs sind überlaufen, klagen über zu großen Andrang.

Und warum sollte ein Patient überhaupt sechs Monate bis ein Jahr auf eine medizinische Behandlung warten, die ihm doch ohnehin zusteht?

Kuriose Fälle

Der Begriff „Seltene Krankheit” kann auch in die Richtung der „Kuriosen Fälle” interpretiert werden. In den Medien werden diesen Fällen nicht nur mehrere Meldungen gewidmet, sondern sie sind nicht selten als eigenständiges Genre vertreten. Es handelt sich um eine journalistische Darstellungsform, die eine Patientenakte mit unerwartetem Ausgang erzählt. Sie dient lediglich dem Zweck der seichten Unterhaltung indem sie beim Leser Erstaunen hervorruft.

 

Spezialisierung oder Interdisziplinarität?

Zentren, die ihre Aufgabe mit „Weiterleitung an entsprechende Experten” umschreiben machen klar, daß für sie die Antwort auf das Problem nicht weniger sondern mehr Spezialisierung ist.

Seltenheit eine Eigenschaft der Krankheit?

Der quantitative Definitionsansatz macht die Seltenheit in gewisser Hinsicht zu einer Eigenschaft der Krankheit.

Seltene Erkrankungen bilden aber keine Taxonomische Klasse (genus proximum et differentia specifica) von Krankheiten, so wie für ein biologisches Klassifikationssystem die Katzen eine Art der Katzenartigen Raubtiere sind.

Die Bezeichnung muss sich also auf andere Gemeinsamkeiten bestimmter Krankheiten im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem beziehen.

Seltene Krankheit ist eher eine Aussage über bestimmte Aspekte des Diagnoseprozeßes als über die Krankheiten selber. Es gibt folglich Krankheiten, die selten, aber keine Seltenen Erkrankungen sind sowie Krankheiten, die Seltene Erkrankungen, aber nicht selten sind.

Einig ist man sich u.a. darüber

1. daß Seltene Erkrankungen durch besondere Eigenschaften schwierig zu diagnostizieren sind, wofür sich die Bezeichnung „Chamäleonkrankheit” etabliert hat.
2. daß Seltene Erkrankungen in der Routine der Primärversorgung nicht identifiziert werden

Die Unterschiede liegen in dem „Warum?” Die Quantitative Definition sagt zum Beispiel lediglich, daß diese Schwierigkeiten an der quantitativen Seltenheit der Erkrankungen liegen.